No hope, no future
Meine aktuelle Kolumne, heute im Kicker:
Was sagt das über eine Gesellschaft aus, wenn schon die Kinder die Hoffnung verlieren? Neulich spielte mein Verein (der Name tut nichts zur Sache) gegen einen anderen (dessen Name auch egal ist, aber er ist im Ostwestfälischen heimisch). In der ersten Viertelstunde waren wir drückend überlegen, provozierten Ballverluste des Gegners am laufenden Band, spielten schnell nach vorne und kamen zu Möglichkeiten, die seit Beginn des Fußballjournalismus als „hochkarätig“ bezeichnet werden. Unwissende, sogenannte „neutrale“ Betrachter mussten vermutet, das am Ende weitere Reporterfloskeln stehen würden, nämlich jene vom „Kantersieg“, und dass diese drei Punkte „im Stile einer Spitzenmannschaft“ erspielt worden seien.
Optimismus, so lautet ein beliebtes Sprichwort, ist nur ein Mangel an Information, und da meine Kinder außergewöhnlich gut informiert sind, urteilte der Ältere (15): „Zur Halbzeit steht es eins zu null für die anderen.“ Keine Minute später fiel der Treffer für die Ostwestfalen. Es blieb der einzige im ganzen Spiel. Und der Thronfolger hatte es schon vorher gewusst, als habe er das zweite Gesicht. Nach dem Abpfiff sprach er noch: „Es ist keine Gabe, es ist ein Fluch.“ Und da der gegnerische Treffer mit der Brust erzielt wurde, fügte der Zweitgeborene hinzu: „Gegen uns müssen sie nichtmal FUSS-Ball spielen!“
Fatalismus ist der zweite Vorname vieler Fans. Vor Jahren bin ich mal fremd gegangen und besuchte das Heimspiel eines Vereins bei uns in der Gegend, den wir namentlich hier ebenfalls nicht erwähnen wollen. Kleiner Hinweis: Er spielt in einer großen Turnhalle. Dieser Verein hatte in den Wochen zuvor etwas gemacht, was meinem eigenen mittlerweile offenbar von einem Bundesgesetz verboten wurde: Er hatte vier Mal in Folge gewonnen. In dem Spiel, bei dem ich zugegen war, ging es gegen einen Club aus dem Rheinischen (aus der Stadt kommen auch viele Tabletten). In der neunten Minute fiel das 0:1 für die Pillendreher. Der Mann neben mir verschränkte die Arme und brummte: „Das war klar!“ Es waren noch 81 Minuten zu spielen, aber für meinen Sitznachbarn war die Begegnung gelaufen. Na gut, er sollte recht behalten, das Ding endete 1:2. Aber schon mal was von der berühmten sich selbst erfüllenden Prophezeiung gehört?
Weil mein Verein vor vierzig Jahren mal in einem Spiel gegen die Bayern 4:0 geführt, dann aber doch noch 5:6 verloren hat, kommen bei uns die Leute nicht einmal damit klar, wenn wir vorne liegen. Einmal führte unsere Mannschaft in einem ostdeutschen Stadion (die Stadt drumherum nennt man auch „Elbflorenz“) in der fünfundachtzigsten Minute mit 2:0. In meinem Fußballkeller, wo ich unsere Auswärtsspiele über einen HD-Beamer in zum Teil schmerzhafter Deutlichkeit zusammen mit Mitgliedern meines Freundeskreises, der sich längst Selbsthilfegruppe nennt, verfolge, war die gängige Haltung: „Ein Punkt ist drin!“ Tatsächlich haben wir dann 3:0 gewonnen, aber mein Kumpel Scotty meinte nur: „Dafür gibt es dann halt nächstes Mal wieder aufs Maul.“
Vielleicht muss man es so sehen: Als Anhänger eines Vereins wie dem meinigen kann man auch mit über Fünfzig noch Punk sein: No Hope, no Future, wo man hinguckt. Und das geben wir dann an die Kinder weiter.